Antonie Laucher – Rebellin mit Bubikopf
Frauentag, Frauenquote, Equal Pay Day, „feministische Außenpolitik“ – Schlagwörter, bei denen man sicher nicht an eine ältere niederbayerische Dame denkt, die Mitte des 19. Jahrhunderts geboren wurde. Frauen wie Antonie Laucher lebten diese Ideen und Ziele, nicht theoretisch, laut und revolutionär, sondern praktisch, alltäglich, beharrlich. Wohlbehütet aufgewachsen in einer begüterten und gebildeten Arztfamilie wird Antonie Laucher zur Kämpferin für die Interessen der Dienstmädchen und Arbeiterinnen. Dort, wo sie lebt, in der niederbayerischen Stadt Straubing, verbessert sie tatkräftig die Lebens- und Arbeitsbedingungen berufstätiger Frauen.
Antonie Laucher wurde am 24. August 1852 in Augsburg geboren. Ihr Vater Dr. Karl Laucher ließ sich zwei Jahre später in Straubing nieder; hier besuchte Antonie die höhere Mädchenschule des Ursulinenklosters. Dem Drängen der Eltern nach einer standesgemäßen Ehe widersetzte sich Antonie mit einer demonstrativen Geste: Sie ließ sich die Haare kurz schneiden, zur damaligen Zeit für eine junge Dame ein Skandal. Sie heiratete nie und trug zeitlebens einen Kurzhaarschnitt - der Bubikopf-Mode der Weimarer Zeit weit voraus. Antonie erlernte keinen Beruf, sondern lebte vom elterlichen Vermögen und stand ihrem Bruder Max, einem praktischen Arzt, als Haushälterin bei. In der Meldekartei der Stadt Straubing blieb sie zeit ihres langen Lebens als „Landgerichtsarzttochter“ vermerkt. Die Adressbücher führten sie als „Privatiere“.
Antonie Laucher im Gespräch auf dem Straubinger Stadtplatz, um 1930 (Stadtarchiv Straubing FS Rohrmayr 1012)
Gründung des Katholischen Arbeiterinnen- und Dienstmädchenvereins 1905
Antonie genügte es aber nicht, nur Tochter, Schwester, Hausdame, Haushälterin zu sein. Über ihren Vater und ihren Bruder, der als Armenarzt der Stadt wirkte und oft „nur für Gotteslohn“ behandelte, bekam sie die sozialen Nöte der kleinen Leute mit. Typisch für bürgerliche Frauen mit Verstand und Herz, wie sie Antonie repräsentierte, war ein karitatives, sozialfürsorgliches Engagement für Unterschichtenfrauen. 1905 gründete sie zusammen mit Jakob Wagner, Stadtpfarrprediger zu St. Jakob, einen Katholischen Arbeiterinnen- und Dienstmädchenverein, dem sie sich fortan engagiert widmete. Weit vor der Jahrhundertwende hatten sich bereits sozialistische und konfessionelle Organisationen der Arbeiter gebildet. Um die erwerbstätigen Frauen aber nahm man sich erst nach 1900 verstärkt an. Lange Arbeitszeiten, geringer Lohn, anstrengende Tätigkeiten, kein Arbeitsschutz kennzeichneten damals die Lage der Arbeiterinnen und Dienstmädchen. Die katholischen Arbeiterinnenvereine forderten gerechten Lohn, bessere Arbeitsbedingungen, gesellschaftliche Anerkennung, politische Gleichberechtigung. Sie wollten den erwerbstätigen Frauen Rat und Hilfe zur Bewältigung ihrer Aufgaben in Beruf, Haushalt und Familie bieten, aber auch religiösen Halt und vergnügliche Unterhaltung.
Antonie Laucher organisierte gesellige Sonntagsnachmittage, Näh- und Stickabende, Singstunden, Ausflüge oder Theaterspiele – für ihre ausgezeichneten Theaterdarbietungen waren die Straubinger Arbeiterinnen und Dienstmädchen weitum bekannt. Der Verein bildete aber die Frauen auch in sozialen, wirtschaftlichen und staatsbürgerlichen Fragen weiter, denn Hilfe zur Selbsthilfe war Ziel der katholischen Arbeiterbewegung. So kam eine der frühen Stadträtinnen Straubings aus dem Arbeiterinnenverein. In Notlagen wurde den Mitgliedern zur Seite gestanden, zum Beispiel durch eine Krankenunterstützungskasse. Dank der Vorsitzenden Laucher entwickelte sich der Straubinger Verein zu einem der rührigsten und größten Vereine Süddeutschlands; Mitte der 1920er Jahre zählte er 250 Mitglieder.
Häusergruppe mit Dechanthof, um 1920/21 (aus: Felix Mader, Die Kunstdenkmäler von Niederbayern. Stadt Straubing, München 1921)
Eröffnung des Arbeiterinnenheims 1925
Wohl Lauchers größte Leistung war 1923/25 der Erwerb, Um- und Neubau des großen Arbeiterinnenheims mitten in der Stadt. Der Gebäudekomplex umfasste neben den Wohnhäusern In der Bürg 24 und 26 den sogenannten „Dechanthof“, ein historisch äußerst bedeutendes Gebäude für Straubing. Denn Bauforschungen erhärteten in den letzten Jahren die Vermutung, dass sich hier die erste Herzogsburg der Wittelsbacher in Straubing befunden hat. Lauchers Beziehungen zu einflussreichen Persönlichkeiten, zum Beispiel zu Landtagsabgeordneten, ermöglichten die Finanzierung. Das Arbeiterinnenheim sei „für die Seelsorge nicht minder wie für die soziale Hilfe in der Fürsorge für Dienstboten von großer Bedeutung und nebenbei auch eine Zierde der Stadt Straubing“, so verkündete Präses Wolfgang Schaller bei der Einweihung am 27. September 1925.
Das Heim verfügte über einen Theater- und Festsaal mit 340 Sitzplätzen und modernster Bühnenausstattung. Hier fanden bereits seit 1928 unter dem Namen „Regina-Lichtspiele“ auch Filmvorführungen statt. Daneben gab es Versammlungsräume und Unterkünfte für ledige Arbeiterinnen, für kranke und alte Dienstmädchen, für arbeitslose oder stellensuchende Mädchen. Antonie Laucher vermittelte für Dienstmädchen, Näherinnen und Arbeiterinnen auch Stellen. Sie achtete persönlich darauf, dass die Arbeit einigermaßen zu den Frauen passte und „kontrollierte“ Dienstverhältnisse. Hierbei scheute sie sich nicht, „Herrschaften“, die ein Dienst- oder Nähmädchen nicht gut behandelten, zur Rede zu stellen. So kanzelte sie einmal eine Herrschaft mit folgenden Worten ab: „Frau Rechtsanwalt, glauben‘S ja ned, dass Eana im Himmel drobn die Dienstmädchen a no an Fußschamel machen müssen.“ Ihr eigenes Dienstmädchen wurde nicht nur „Kind im Haus“, sondern auch ihre Erbin.
Antonie Laucher mit Mitgliedern des Katholischen Arbeiterinnen- und Dienstmädchenvereins Straubing vor dem Arbeiterinnheim, um 1925 (Stadtarchiv Straubing Allgemeine Fotosammlung 306-20.1.1.1)
Würdigung von Antonie Laucher
„Der Tod reißt schwere Lücken“. So ist die Todesnachricht von Antonie Laucher im „Straubinger Tagblatt“ 1934 übertitelt. „Frl. Antonie Laucher war schon lange krank. ... es trauert vor allem der Katholische Arbeiterinnen- und Hausangestellten-Verein. Denn sie war die Seele dieses Vereins, Gründerin und Förderin zugleich. Vor 28 Jahren hat Frl. Laucher zu Nutz und Frommen, zur gegenseitigen Förderung und Weiterbildung der katholischen Hausangestellten und Arbeiterinnen eine frohe, rasch aufblühende Gemeinschaft gegründet. Und seit dieser langen Zeit hat die teure Tote ihre ganze Kraft, ihr ganzes Streben und Wollen in den Dienst der katholischen Mitschwestern gestellt, uneigennützig, opferbereit, selbstlos und tatenfroh. ...“
Antonie Lauchers Leben war „Arbeit für die anderen“. Sie war eine Straubingerin, die sich in den Dienst anderer Straubingerinnen gestellt hat. Die Motivation, den Mut und die Kraft für ihr soziales Engagement schöpfte sie hierbei aus ihrem tiefen christlichen Glauben.
Der Festsaal wurde von 1944 bis 1992 als „Burgtheater“ und „Burglichtspiele“ von Pächtern als Kino genützt. Der gesamte Arbeiterinnenheim-Komplex wurde 2018 von der Stadt Straubing für eine künftige Nutzung als Rathaus erworben; ein Jahr später löste sich der „Katholische Arbeiterinnen -und Hausangestellten-Verein Straubing e.V.“ wegen Mitgliedermangels auf. Die Würdigung von Antonie Laucher im „Straubinger Tagblatt“ 1934 schließt mit den Worten „Unvergeßlich bleibt ihr Name.“ Einen Beitrag hierzu leistet seit 2006 ein Straßenname: der Antonie-Laucher-Weg in Straubings Westen.
Dr. Dorit-Maria Krenn
Theatergruppe des Katholischen Arbeiterinnen- und Dienstmädchenvereins, um 1927 (Stadtarchiv Straubing Allgemeine Fotosammlung 306-20.2.1.2)